Nord Stream 2 in Betrieb nehmen!

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WDMR bringt Änderungsantrag ein

Zur Kreistagssitzung am 30.09.2022 hat die FDP-Fraktion einen Antrag zur Gasversorgung eingebracht. Darin fordert die FDP einen Maßnahmenkatalog für Einsparungen, Aktualisierung von Katastrophenschutzplänen, Stresstests sowie Informationen an die Bürgerinnen und Bürger über die Versorgungslage. Dr. Frank Michler, Kreistagsabgeordneter der Bürgerliste Weiterdenken (WDMR), sieht diesen Antrag als den Versuch, eine effiziente Kriegs- und Mangelverwaltungswirtschaft zu organisieren. „Statt das Elend nur zu verwalten, sollte alles dafür getan werden, die Versorgungssicherheit wieder herzustellen. Dazu gehört, dass die Bundesregierung ihre Weigerung aufgibt, Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 2 anzunehmen.“, sagt Dr. Michler. Dazu hat er einen Änderungsantrag eingebracht, der den FDP-Antrag um einen Punkt ergänzt: Der Kreistag soll die Bundesregierung auffordern, alles Notwendige zu tun, um Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen.

Vertretung einer Minderheiten-Meinung undemokratisch?

Am 22.09.2022 wurden die Anträge im „Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur und Digitalisierung“ beraten. Der Kreistagsabgeordnete Hans-Martin Seipp (SPD) sagte in der Sitzung, alle demokratischen Parteien in Deutschland seien sich einig, dass sie keine Öffnung von Nord Stream 2 wollten. Man wolle nicht „Putin nachgeben“, so dass er „erreicht, dass nicht nur Deutschland sondern ganz Europa umkippt“. Aus dieser behaupteten Einigkeit „aller demokratischer Parteien“ schlussfolgerte er, dass jemand, der „so einen Antrag“ (mit der Forderung nach Öffnung von Nord Stream 2) stellt, kein demokratischer Abgeordneter sei.

Für Dr. Michler offenbart diese Äußerung eine erschreckende Demokratiefeindlichkeit: „Wer die Vertretung einer Minderheitenpositon als undemokratisch diffamiert, hat offenkundig die Grundidee der Demokratie nicht verstanden. Auch inhaltlich liegt Seipp hier voll daneben, da es im Bundestag und in Landtagen in mehreren Parteien Abgeordnete gibt, die bereits eine Öffnung von Nord Stream 2 gefordert haben. Darunter Wolfgang Kubicki (FDP) , Sahra Wagenknecht (LINKE), Frank Bommert (CDU), Alice Weidel (AfD).“

Begründung des Antrages

Versorgungskrise bedroht Lebensgrundlagen

Die FDP befürchtet zurecht, dass es diesen Winter zu einer erheblichen Versorgungskrise kommen kann, wenn für Privathaushalte, öffentliche Einrichtungen und Wirtschaft nicht genügend Erdgas zur Verfügung steht. Statt die Ursache zu adressieren, schlägt die FDP jedoch nur vor, eine effiziente Kriegs- und Mangelverwaltungswirtschaft zu organisieren. Diese wird möglicherweise nicht ausreichen, um irreversible Schäden für Privathaushalte und Wirtschaft – und damit für unsere Lebensgrundlagen – zu verhindern [1]. Daher sollte alles darangesetzt werden, durch Energiemangel oder unbezahlbare Preise verursachte Betriebsschließungen, Insolvenzen, Arbeitslosigkeit und damit verbunden eine Verarmung breiter Teile unserer Gesellschaft zu vermeiden. Dazu gehört die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.

Deutschland verweigert Annahme von Gas-Lieferungen

Als Grund für die zunächst reduzierten und nun gestoppten Gas-Lieferungen über Nord Stream 1 nennt Russland technische Probleme, die aufgrund der Sanktionen derzeit nicht behoben werden könnten: „Defekte Anlagen werden nicht betrieben“, sagte der russische Botschafter Sergej Netschajew (Handelsblatt, 12.09.2022 [2]). Ob das Ölleck tatsächlich kritisch für den Betrieb der Gasturbine ist, oder ob die technischen Probleme vorgeschoben sind, lässt sich aus der Ferne von uns nicht beurteilen. Russland hat jedoch angeboten, das Erdgas stattdessen über die andere Pipeline – Nord Stream 2 – zu liefern. Solange Deutschland sich weigert, Gas-Lieferungen über diese Pipeline anzunehmen, sind alle Konsequenzen aus der sich weiter verschärfenden Versorgungskrise selbst verschuldet.

Lackmustest und mögliche Lösung: Nord Stream 2 öffnen

Die absehbaren Folgen der Energiekrise sind derart drastisch, dass sich immer mehr Betriebe und Verbände zu Wort melden. Prof. Steffen Keitel (IHK Halle-Dessau) sieht in der Öffnung von Nord Stream 2 eine mögliche Lösung [3]:

Eine andere Möglichkeit, der Energiekrise zu begegnen, bestehe darin, Nord Stream 1 abzuschalten und auf Nord Stream 2 auszuweichen, sagt Prof. Steffen Keitel, Präsident der IHK Halle-Dessau: „Wenn Nord Stream 1 angeblich so anfällig ist, dann soll Gazprom doch über die nagelneue Pipeline Nord Stream 2 liefern.“ Russland könne dann nicht mehr technische Probleme als Grund für die verringerten Lieferkapazitäten vorschieben. „Ein ‚Pipeline-Switch‘ wäre also ein guter Lackmustest“, so Prof. Keitel.

Auch Wolfgang Kubicki (FDP) sieht „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“ [4].

Europas LNG-Käufe verursachen Misere in armen Ländern

Mit dem Versuch, das günstige über Pipelines gelieferte Gas durch Flüssiggas (LNG) zu ersetzen, verursachen wir zudem gravierende Probleme in ärmeren Ländern. Thomas Hartz berichtete am 07.07.2022 in seinem Artikel „In Pakistan gehen die Lichter aus – Europa kauft jeden verfügbaren LNG-Tanker“ [5]:

  • massiver Preisanstieg bei LNG
  • Stromausfälle in Pakistan
  • Umstieg von Gas auf Kohle in Pakistan, Indien und Ghana
  • Bangladesch und Myanmar ächzen unter gestiegenen LNG-Preisen“
  • Indien und Sri Lanka wenden sich direkt an Russland
  • Risiko eines Zahlungsausfalls in Pakistan

Moralisch höherwertiges LNG?

Russlands Angriffskrieg in der Ukraine ist unbestreitbar ein Bruch des Völkerrechts. Wer jedoch meint, dieser Krieg habe „die seit 75 Jahren bestehende europäische Friedensordnung“ beendet [6, 7, 8], leugnet ein einschneidendes Ereignis der europäischen Nachkriegsgeschichte: Mit der Bombardierung Jugoslawiens 1999 hat die BRD tatkräftig mitgeholfen, das Völkerrecht auszuhöhlen [9]. Alle Völkerrechtsverletzungen der USA der „Nachkriegszeit“ hier aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Antrages sprengen. Hat Deutschland dies jemals zum Anlass genommen, selbstmörderische Sanktionen zu verhängen? Dies macht deutlich, dass die Weigerung, Gaslieferungen über Nord Stream 2 anzunehmen, in keiner Weise mit Verletzungen des Völkerrechts begründet werden kann.

Um weiteren Schaden von den in Deutschland lebenden Menschen abzuwenden, sollten wir dringend an die Bundesregierung appellieren, Nord Stream 2 umgehend in Betrieb zu nehmen.

Quellen:

[1] vbw-Studie zu den Folgen einer Lieferunterbrechung
Die russischen Gasmengen, die von der Industrie benötigt werden, ließen sich kurzfristig nicht vollständig substituieren. Ein Lieferstopp würde daher massive Schäden in der gesamten Wertschöpfungskette bewirken – es drohen flächendeckend Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und ein dauerhafter Verlust unserer industriellen Strukturen.“
https://www.vbw-bayern.de/vbw/vbw-Fokusthemen/Russland-Ukraine/Folgen-einer-Lieferunterbrechung-von-russischem-Gas-f%C3%BCr-die-deutsche-Industrie.jsp

[2] „Defekte Anlagen werden nicht betrieben“, Handelsblatt, 12.09.2022
https://www.handelsblatt.com/dpa/energie-russischer-botschafter-bietet-nord-stream-2-als-ersatz-an-/28675364.html

[3] Prof. Steffen Keitel (IHK Halle-Dessau) schlägt Öffnung von Nord Stream 2 vor
https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/sanktionen-russland-folgen-wirtschaft-100.html

[4] Wolfgang Kubicki (FDP): Es gebe „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kubicki-nord-stream-2-oeffnen-russland-100.html

[5] Europa kauft Pakistan die LNG-Tanker weg
https://finanzmarktwelt.de/in-pakistan-gehen-die-lichter-aus-europa-kauft-jeden-verfuegbaren-lng-tanker-239231/

[6] Niederschrift der Kreistagssitzung vom 25.02.2022: „Der Kreistagsvorsitzende richtet einige Worte zum Krieg in der Ukraine an den Kreistag. Die seit 75 Jahren gültige Friedensordnung in Europa sieht er durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine als zerstört an.“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZSNPpxCq-CU0Yh4RHFtHmp8kCAqkiz_DFS5vLfrszjCV/Oeffentliche_Niederschrift_Kreistag_25.02.2022.pdf

[7] „Kaum jemand hat es für möglich gehalten, dass Europa nach all den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege noch einmal einen Angriffskrieg erleben und die europäische Sicherheit bedroht würde.“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZXssQXziUWHUrIzPPz5sLLKP1xZFjC1qO0u9L9JCcAnO/Antrag_Fraktion_123-2022_KT_1._Ergaenzung.pdf

[8] Jugoslawien-Krieg im Gedächtnisloch verschwunden? Grünes Grußwort zum Ostermarsch in Marburg.
https://www.youtube.com/watch?v=t2Z8zcww_MQ

[9] „Völkerrecht gebrochen“
https://taz.de/Zehn-Jahre-Kosovokrieg/!5165840/

3 Kommentare

  1. Die einzig vernünftige Lösung, danke für das Engagement! Sofortige Öffnung von Nord Stream 2 muss das Ziel sein, und Schluss mit den Sanktionen gegen Russland! Auch Nord Stream1 könnte übrigens wieder in Betrieb gehen – es bedürfte nur eines Schreibens von Seiten der Bundesregierung bzw. der EU, dass die Reparatur (z. B. durch die Fa. Siemens, die sich prinzipiell auch zu Reparaturen vor Ort bereiterklärt hat) der Turbine(n) nicht unter die Sanktionen fällt und damit auch nicht von Strafen bedroht ist. Leider fehlen bei den meisten deutschen Politikern der politische Wille und der Verstand.

  2. NS-2 wird aufgemacht, so viel ist sicher. Dafür werden allerdings nicht die Politiker im Bundestag sorgen, sondern, frei nach Horst Seehofer, die wirklich Mächtigen Leute dieses Landes – die Großindustriellen. Denn sofern sie mehrheitlich ihr Geld in Deutschland oder zumindest aus Deutschland heraus verdienen, werden sie es nicht zulassen, zu den Verlierern des Krieges zu gehören.
    Es bleiben 2 Fragen:
    1. Ist heute noch der entscheidende Teil der Deutschen Industrie von Deutschen kontrolliert und können diese mehr Druck auf die Regierung ausüben als Vertreter von Partikularinteressen außerhalb der Deutschland AG?
    und 2. Wie lange dauert es, bis die Regierung auf diesen Druck hin den Energienotstand ausruft, und von den suizidalen Sanktionen ablässt. die nur uns selbst schaden ?

    Während ich bei der ersten Frage einigermaßen zuversichtlich bin, befürchte ich, dass die Regierung bis zu de ersten Stromausfällen in Großstädten warten wird, bis sie das Notwendige tut, welches sie dann als zwar sehr bedauerlich, aber alternativlos bezeichnen wird. Das große Risiko dabei ist, dass zu einem solchen Zeitpunkt die kleinste weitere Störung im System zur unbeherrschbaren Katastrophe führen kann. Deshalb müsste man jetzt handeln, statt zu warten, bis uns die Handlungsoptionen ausgehen. Das wäre verantwortungsvoll und vorausschauend. Zu einer vorausschauenden Handlungsweise gehörte leider auch der Mut, statt in parteipolitischen Handlungsmustern zu verharren, als Politiker in Verantwortung mal an seinen Eid und Deutschland, und damit auch an Europa, zu denken. Und so einen Menschen sehe ich weit und breit nicht – jedenfalls nicht an einer entscheidenden Stelle des Parlaments. Doch jede Woche, die vergeht, ohne, dass diese letztlich unumgängliche Entscheidung getroffen wird, kostet Deutschland Arbeitsplätze, Marktanteile und Mitsprachefähigkeiten über seine eigene Zukunft.

    Deshalb ist es jetzt entscheidend, den Druck zu steigern, um die Verstopfung im System zu beseitigen! Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, sei es auf der Straße, sei es, in den Vorstandsetagen der Unternehmen, oder sogar in der Verwaltung. Auf Einsicht bei den Entscheidungsträgern zu hoffen scheint mir vergeblich – Anstand kann man Jemandem nicht beibringen, der seine ganze Karriere auf dem Gegenteil aufgebaut hat. Leute, die auch nach dem Verzapfen des größten Unsinns und erwiesener Inkompetenz nicht ihren Hut nehmen, haben vor, mit dem Schiff unterzugehen – natürlich nicht ohne zuvor ein kleines Rettungsboot für sich gesichert zu haben. Nur, wenn man diese Leute ersetzt oder anderweitig zum Handeln zwingt, kann man das Schiff noch retten. Die Brücke ist besetzt mit betrunkenen Leichtmatrosen – der dümmsten Regierung Europas, daran gibt es keine Zweifel! – jetzt müssen die Leute aus dem Maschinenraum handeln, sonst schlucken sie Salzwasser, und Viele werden auch ertrinken!

    Wenn wir es nicht schaffen, das Ruder herumzureißen, bleibt uns nur noch die Hoffnung, welche in der alten DDR-Hymne besungen wird, nämlich, dass Deutschland immer dann am stärksten ist, wenn es gilt, aus Ruinen wieder aufzuerstehen. Der Preis dafür wird allerdings mit Schweiß, Tränen und Blut zu bezahlen sein. Haben wir als Gemeinschaft wirklich nicht dazugelernt? Wer nichts tut, dem bleibt am Ende nur noch das Hoffen übrig – und im besseren Fall noch das Beten. Oder aber, man handelt jetzt, denn es gibt bald nichts mehr zu verlieren, aber die Zukunft in Freiheit und Frieden zu gewinnen!

  3. Unsere Handlungsmöglichkeiten als Europa haben sich heute maximal verringert, nachdem beide Ostseepipelines, die uns Gas aus Russland hätten bringen können, sabotiert worden sind. Es fragt sich, wer bereit ist, um eines kurzfristigen Vorteils willen ganze Völker der Armut auszusetzen und Europa ins Chaos zu stürzen.
    Es fragt sich, wer Interesse an einem Krieg in Europa hat. Und man sollte seine Denkoptionen nicht einschränken: In Zeiten, in denen Privatunternehmer Raumschiffe bauen, ist nicht nur ein staatlicher Akteur in der Lage, einen solchen Anschlag durchzuführen.

    Ab heute gilt deshalb mehr denn je: Wer Frieden will, der redet mit seinen Gegnern. Man schließt Frieden schließlich nicht mit seinen Freunden.

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