Anlässlich der erschreckenden Bilder von politisch motivierter Gewalt am 29.11.2025 in Gießen hat die Bürgerliste Weiterdenken einen Dringlichkeitsantrag in den Kreistag eingebracht. In diesem verurteilt sie die gewalttätigen Angriffe auf das Kreistagsmitglied Julian Schmidt [1] sowie auf Pressevertreter [2, 3].
Die Oberhessische Presse berichtete in ihrer Online-Ausgabe am 12.12.2025.
Im vorgeschlagenen Resolutionstext hieß es [4]:
„Der Kreistag ist äußerst besorgt über das in diesem Angriff sichtbar werdende fehlgeleitete Verständnis der Versammlungsfreiheit. Diese umfasst zwar selbstverständlich das Recht, gegen eine Gründungsversammlung zu protestieren und diese öffentlich zu kritisieren, nicht jedoch das Recht, diese zu verhindern und damit die Grundrechte anderer auszuhebeln.“
Diskurs statt Gewalt
Jacklin Moldenhauer-Dersch, Kandidatin auf der Kreistagsliste der Bürgerliste Weiterdenken, ist erschrocken über die Ereignisse und plädiert dafür, Meinungsfreiheit und friedlichen demokratischen Diskurs wieder zu stärken:
„Die Gewaltbereitschaft in Gießen hat mich schockiert. Solche Angriffe retten die Demokratie nicht, sondern zerstören sie!“
Auch Gabriel Schnizler (Bürgerliste Weiterdenken) ist alarmiert:
„Die öffentliche Wahrnehmung ist durch das Framing der Berichterstattung völlig verdreht. Durch die selbstgerechten, moralisierenden Phrasen von „unsere Demokratie“ und „Kampf gegen Rechts“ scheint alles im öffentlichen Bewusstsein völlig klar vorentschieden – die wirklichen Sachverhalte und Geschehnisse interessieren uns gar nicht mehr. Dies geschieht durch die Umkehr eines völlig kopflos-hysterischen, präventiv-überschießenden Affektes. Dadurch geht in der Realität die tatsächliche Intoleranz, Hassrede, Ausgrenzung und Abwertung, Legitimation von Gewalt durch Dämonisierung und effektive Gewalt in Wirklichkeit von genau denjenigen aus, die vorgeben, sie bekämpfen zu wollen.“
Straßenblockaden waren Straftaten gegen die Versammlungsfreiheit
Dr. Frank Michler kritisiert insbesondere die von ‚widersetzen‘ angekündigten, geplanten, koordinierten und durchgeführten Straßenblockaden. Diese waren explizit auf die Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung ausgerichtet und damit klare Straftaten nach § 7 und § 25 des Hessischen Versammslungsfreiheitsgesetzes. Er ruft alle Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die friedlich am Protest in Gießen beteiligt waren, dazu auf, die Gewalttaten sowie die strafbaren Versammlungsstörungen zu verurteilen:
„Wer unter dem Banner von ‚widersetzen‘ in Gießen demonstriert hat und sich nicht klar von den Blockadeaktionen, Gewalttaten und Angriffen auf die Presse distanziert, macht sich mit diesen Straftätern gemein.“
„Genau hinsehen“, mit wem ihr „widersetzen“ geht
Dr. Michler erinnert in diesem Zusammenhang an eine Stellungnahme vom 4.2.2022, mit der u.a. die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE versuchten, die stets friedlichen Marburger Proteste gegen die damals geplante Impfpflicht zu diskreditieren [5, 6]. Die Parteien schrieben damals:
„Wir fordern die Teilnehmenden der „Spaziergänge“ auf, genau hinzuschauen, mit wem sie bei einer nicht angemeldeten Demonstration „spazieren gehen“und ob sie die offensichtlich antidemokratischen Werte und unsolidarischen Haltungen der Initiator*innen wirklich teilen.[7]
Dr. Michler fordert die Parteien, Gewerkschaften und Aktivistengruppen auf, die Ereignisse in Gießen anhand der von ihnen selbst Anfang 2022 aufgestellten Kriterien zu bewerten und daraus ihre Schlüsse zu ziehen.
Reaktion der Parteien im Kreistag
Die Regierungskoalition aus SPD und CDU hat mit einem Konkurrenzantrag auf den Dringlichkeitsantrag von Weiterdenken reagiert [8]. Damit folgen sie dem im Kreistag etablierten Muster, um Abstimmungen über Oppositionsanträge zu vermeiden.
SPD und CDU ignorieren konkreten Anlass und formulieren Allgemeinplätze
Sie formulieren einen Beschlusstext, der lediglich ein paar unstrittige Allgemeinplätze verkündet. Da der Konkurrenzantrag zuerst abgestimmt wird, kommt es bei Annahme des Konkurrenzantrages durch die Regierungsmehrheit gar nicht mehr zu einer Abstimmung über den ursprünglichen Antrag der Opposition. Damit vermeiden es die Regierungsparteien, zu den konkreten von der Opposition vorgebrachten Anliegen Stellung zu beziehen.
Kein Hinweis auf Gewalt in Gießen in SPD/CDU-Antrag
In diesem Fall ist im Beschlusstext des SPD/CDU-Antrags keinerlei Hinweis mehr auf den Anlass der Debatte enthalten. Weder wird der gewalttätige Angriff auf Julian Schmidt erwähnt, noch die Angriffe auf Pressevertreter.
Blind für verfassungsfeindliche Ziele
Auch die systematisch geplanten und illegalen Straßenblockaden, die auf eine Verhinderung der Gründungsversammlung abzielten und damit die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit untergraben sollten, spielen für SPD und CDU keine Rolle. Der Grund liegt auf der Hand, denn damit würde man zugeben, dass die Mobilisierung von „widersetzen“ im Kern verfassungsfeindliche Ziele verfolgte.
Der Konkurrenzantrag von SPD und CDU wurde schließlich mit großer Mehrheit angenommen und somit über den Weiterdenken-Antrag nicht abgestimmt.
Dr. Frank Michler zieht folgendes Fazit:
„Wir haben eine Debatte über die verfassungsfeindlichen Gewalttaten in Gießen angestoßen und damit verhindert, dass der Kreistag nach dem Angriff auf eines seiner Mitglieder kommentarlos zur Tagesordnung übergeht. Dass die Regierungskoalition kein Interesse hat, die verfassungsfeindliche Zielsetzung der von ‚widersetzen‘ organisierten Straftaten zu benennen und zu verurteilen, war erwartbar. Das passt einfach nicht ins aktuelle Narrativ.“
Quellen und Anmerkungen:
[1] Bericht über Angriff auf Julian Schmidt im OP-Liveticker, 29.11.2025,
Katharina Kaufmann-Hirsch und Nadine Weigel
Nach Weidels Angaben wurde am Rande der Proteste der AfD-Bundestagsabgeordnete Julian Schmidt „zusammengeschlagen“.
Der Bundestagsabgeordnete selbst bestätigte der dpa einen Angriff. Er sei nach dem Abstellen des Autos in der Nähe der Halle von rund 20 Leuten angegriffen worden. Die „Junge Freiheit“ postete bei X ein Video, das den Vorfall zeigen soll. Dieses sei authentisch, sagte Schmidt der Deutschen Presse-Agentur. Blaue und rote Flecken auf Nase und Jochbein seien Folgen des Angriffs. Er sprach von einer neuen Qualität der Konfrontation. Das sei das Resultat, wenn man bewusst aus dem demokratischen Spektrum herausgedrängt werde.
Die Polizei sagte, ein AfD-Bundestagsabgeordneter sei in Heuchelheim, einer Nachbargemeinde von Gießen, verletzt und der mutmaßliche Täter festgenommen worden. Die Ermittlungen liefen. Weitere Details und den Namen des Betroffenen nannte die Polizei nicht. (dpa)
Lasse Schneider
[2] DGB-Versammlungsleiterin zu Tichy: „Ich will Dich dieser Versammlung verweisen“
https://www.youtube.com/watch?v=2qYdu4o9jkc&t=2m
[3] Tweet von Paul Ronzheimer
https://twitter.com/ronzheimer/status/1995087246442037398
[4] Dringlichkeitsantrag der Bürgerliste Weiterdenken: „Nein zu politischer Gewalt – Rückbesinnung auf Meinungsfreiheit und demokratischen Diskurs“
https://buergerliste-weiterdenken.de/wp-content/uploads/2025/12/dringlichkeitsantrag_wdmr__gewalt_giessen__michler_und_moldenhauer-dersch.pdf
[5] Antwort auf Stellungnahme der Marburger Parteien zu Spaziergängen
https://weiterdenken-marburg.de/2022/02/19/antwort-auf-parteien-stellungnahme-zu-spaziergaengen/
[6] Oberhessische Presse, 06.02.2022, „Marburger Parteien beziehen Stellung“
https://www.op-marburg.de/lokales/marburg-biedenkopf/marburg/corona-demos-marburger-parteien-beziehen-stellung-EJGQO6CVZFO7WWIAV2SUFFUDT4.html
[7] Gemeinsame Stellungnahme zu den „Corona-Spaziergängen“ in der Stadt Marburg, 4.2.2022, von Bündnis 90/Die Grünen, Klimaliste, DIE LINKE, Piratenpartei, SPD, CDU, FDP
https://www.spd-marburg.de/2022/02/04/gemeinsame-stellungnahme-zu-den-corona-spaziergaengen-in-der-stadt-marburg
[8] Konkurrenzantrag von SPD und CDU zum Antrag der Kreistagsmitglieder Dr. Michler und Moldenhauer-Dersch „Nein zu politischer Gewalt – Rückbesinnung auf Meinungsfreiheit und demokratischen Diskurs“ vom 04.12.2025
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZR7JjFlQhs4jYpCYoHbQY_T8s2wKdIUdXGFvzxFxqdy8/Antrag_Fraktion_553-2025_KT_1._Ergaenzung.pdf
