Wer nichts zu verbergen hat …

Kreistag missachtet Pressefreiheit

“Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten”. So heißt es immer wieder, wenn die Staatsgewalt den Bürger noch gläserner machen möchte und z.B. mit Cyber-Einbrüchen intimste Details aus den Festplatten der Bevölkerung ausforschen möchte. Um ein bisschen Licht ins Dunkel des Kreistages zu bringen, wollten wir einige der Reden in der Kreistagssitzung filmen. Laut Satzung dürfen „die Medien“ Film- und Tonaufnahmen machen, wenn sie dies zuvor anzeigen:

§ 4a
Film- und Tonaufnahmen
(1) In öffentlichen Sitzungen des Kreistages und seiner Fachausschüsse sind Film- und Tonaufnahmen durch die Medien mit dem Ziel der Veröffentlichung oder der Übertragung im Internet zulässig. Die Film- und Tonaufnahmen sind der oder dem Vorsitzenden vor Beginn der Sitzung anzuzeigen. Die Medienvertreterin oder der Medienvertreter hat auf Verlangen der oder des Vorsitzenden einen Nachweis über ihre oder seine Berechtigung zu führen.

Hauptsatzung des Landkreises Marburg-Biedenkopf

Entsprechend haben wir unsere für die Sitzung am 17.12.2021 geplanten Film- und Tonaufnahmen bereits am 14.12.2021 beim Kreistagsvorsitzenden Detlef Ruffert angezeigt.

Was hat der Kreistag zu verbergen?

Ruffert hatte bereits am Rande der vorhergehenden Sitzung die Meinung geäußert, Weiterdenken-Marburg falle nicht unter „die Medien“ in §4a der Satzung. Und so überrascht es nicht, dass er uns – in unserer Meinung nach rechtswidriger und verfassungsfeindlicher Weise – das Filmen verboten hat. Was hat der Kreistag zu verbergen, dass er Filmaufnahmen von den Reden unbedingt verhindern möchte? Noch nicht einmal die eigenen Reden soll man filmen dürfen.

Begründung für Filmverbot: Personalunion mit Kreistagsmandat

Seine ürsprüngliche Argumentation, uns abzusprechen, dass auch wir unter „die Medien“ fallen, hat Ruffert erst mal fallen gelassen. Stattdessen hat er ein neues Argument aus dem Hut gezaubert:

„dass eine Personalunion von Kreistagsabgeordneten einerseits und „Medien“ andererseits ausgeschlossen ist, da auf diesem Wege weder eine unabhängige und freie Berichterstattung noch eine effektive Arbeit des Kreistags gewährleistet werden kann. Sie können sich daher nicht auf ein Recht berufen, bei den Sitzungen des Kreistags Filmaufnahmen als Vertreter der Medien anzufertigen. Die Funktionsfähigkeit des Kreistages muss gewährleistet sein und Aufnahmen aus der Mitte des Kreistags anzufertigen würden dessen Arbeitsfähigkeit einschränken.

Auch Filmaufnahmen durch eine von Ihnen beauftragte Person, sind ebenfalls nicht zulässig, da die o. g. Personalunion dennoch entsteht, wenn Sie als für den Inhalt verantwortliche Person einen anderen beauftragen.“

Filmverbots-Schreiben von Detlef Ruffert

In der Satzung steht nichts von einer solchen Einschränkung.

Doppelmoral angesichts des SPD-Medienfilzes

Besonders absurd ist Rufferts Argumentation auch angesichts der Tatsache, dass seine Partei – die SPD – selbst als eine der größten Zeitungsverlegerinnen Deutschlands aktiv ist. Die Oberhessische Presse gehörte bis 2015 noch zu 51 Prozent dem Madsack-Verlag, dessen größte Komanditistin die SPD-eigene „Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft“ (dd.vg) ist. Auch bezieht die OP weiterhin viele Artikel vom „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND), der überregionalen Redaktion des Madsack-Verlages, die auch das Online-Angebot der OP zur Verfügung stellt.

Der Geist des Schriftleitergesetzes

Die Satzung sagt klar, dass „die Medien“ Film- und Tonaufnahmen machen dürfen. Ruffert maßt sich an, dieses Recht willkürlich einzuschränken und selbstherrlich zu bestimmen, dass es zwar für die SPD-nahe Oberhessische Presse gilt, nicht aber für Weiterdenken-Marburg. Damit missachtet er die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Pressefreiheit, die JEDEM die entsprechenden Rechte zusichert.

Grundgesetz, Artikel 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Artikel 5 (1) Grundgesetz

Dass die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes diese Rechte JEDEM gegeben haben, und nicht etwa einer vom Staat bestimmten Gruppe von „Journalisten“, hat seinen Grund in der staatlichen Gleichschaltung der Presse im Nationalsozialismus. Das Schriftleitergesetz sah vor, dass als Journalist („Schriftleiter“) nur diejenigen arbeiten durften, die in die Berufsliste der Reichspressekammer eingetragen waren. Dieser Geist weht in der Denkweise, aus der heraus Ruffert uns das Filmen im Kreistag verbietet.

Abstimmung ohne Gegenrede

Ruffert wollte sein Filmverbot jedoch nicht komplett alleine verantworten. Daher ließ er den Kreistag über seine Entscheidung abstimmen. Den Gipfel antidemokratischen Gebahrens erreichte er damit, dass er zu seiner einseitigen Darstellung keinerlei Gegenrede oder Debatte zuließ. Dr. Frank Michler versuchte noch, mit einem GO-Antrag eine Debatte oder wenigstens die Möglichkeit einer Stellungnahme zu erwirken. Dieser wurde jedoch unter tosender Zustimmung der antidemokratischen Kreistagsmehrheit abgeschmettert. Und so leitete Ruffert dann eine Abstimmung über sein Filmverbot ein – ohne jegliche Gegenrede. Ein Paradebeispiel dafür, was parlamentarische Debattenkultur in Deutschland bedeutet! Wie soll man dieses Demokratie-Theater noch ernst nehmen? Ruffert hat allen Grund dazu, dieses Verhalten des Kreistages und sein eigenes vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Rechtliche Schritte

Die nächste Kreistagssitzung ist für den 25.02.2022 angesetzt. Welche rechtlichen Schritte wir nun gehen, um diesem verfassungswidrigen Eingriff in die Pressefreiheit zu begegnen, müssen wir noch genauer planen. Wir halten Euch auf dem Laufenden.


Update 13.02.2022: Links zu den betreffenden Kreistagssitzungen sowie Datum ergänzt


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