(Un-) Heimlicher Umbau zur Kriegsgesellschaft

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Lokalpresse blendet Militarisierungs-Debatte aus

Heimlich, still und leise werden wir daran gewöhnt, dass wir für Krieg und Militär einen immer größeren Anteil unserer gesellschaftlichen Ressourcen ver(sch)wenden. Das alles findet nicht im Geheimen statt – aber dennoch heimlich. Komplize ist die Lokalpresse, die als „Lückenpresse“ [1] das Thema in ihrer Berichterstattung einfach ausklammert: Die Diskussion darüber, ob der Landkreis die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Bundeswehr befördern soll, wurde im Bericht der Oberhessischen Presse über die Kreistagssitzung (15. Juli 2023, Seite 9) noch nicht einmal erwähnt.

Die große Koalition aus SPD und CDU hatte dazu für die Kreistagssitzung am 14.07.2023 einen Antrag [2] eingebracht, in welchem sie eine „Kooperation von Bundeswehr mit Wirtschaft und Arbeitgebern zur Stärkung des Reservedienstes“ vorschlagen. Die Bundeswehr hatte für dieses Projekt bereits im April beim Präsidium des Hessischen Landkreistages geworben [3, 4, 5].

„Kein Werben für’s Sterben“ – T-Shirt-Aktion der Linken

Die Sitzung begann mit einem kleinen Eklat – der jedoch für die OP keine Erwähnung wert war. Gleich zu Beginn unterbrach der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert die Sitzung für eine Besprechung im Ältestenrat. Die Fraktion „Die Linke“ war in roten T-Shirts mit der Aufschrift „Kein Werben für’s Sterben“ und einer Friedenstaube erschienen. Das hielten wohl einige Fraktionen für unzulässig. Nach der Sitzungsunterbrechung gab Ruffert bekannt, dass man diese visuelle Meinungsbekundung in dieser Sitzung dulden würde, sich aber demnächst im Ältestenrat noch einmal damit befassen müsse.

T-Shirt-Aktion der Fraktion „Die Linke“:
„Kein Werben für’s Sterben“

SPD, CDU, AfD und UWG gemeinsam für mehr Militär

Bereits in den Ausschusssitzungen hatten die AfD und die UWG ihre Zustimmung für den Antrag [6, 7] signalisiert. Scharfe Kritik kam jedoch von der Fraktion „Die Linke“ sowie der Bürgerliste Weiterdenken (WDMR), die jeweils Konkurrenzanträge zu dem Tagesordnungspunkt eingereicht hatten.

Linke und WDMR kritisieren Militarisierung mit Konkurrenzanträgen

„Die Linke“ lehnte in ihrem Konkurrenzantrag die geplante Stärkung von Bundeswehr und Reserve ab und schlug vor, „Instrumente der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung“ voranzubringen [8]. In der ausführlichen Begründung kritisierten Anna Hofmann und Anja Kerstin Meier-Lercher u.a., dass Katastrophenschutz und Pandemiebekämpfung als Vorwand für verstärkte Bundeswehr-Aktivitäten im Inland vorgeschoben werden. Sie verwiesen auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden für eine Betätigung der Bundeswehr im Inneren, die aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus im Grundgesetz verankert wurden.

Ähnlich argumentierte Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) in seinem Konkurrenzantrag [9]. Er sieht das Vorhaben der Koalition als „Schritt zu einer Militarisierung der Gesellschaft“. Stattdessen regt er an, die Konzepte der „Sozialen Verteidigung“ weiterzuentwickeln und in der Gesellschaft zu verankern [10].

Konkurrenzanträge abgelehnt – SPD, CDU, AfD und FDP auf einer Linie

Dass die AfD eine Militarisierung der Gesellschaft befürwortet, ist nicht neu. Im November 2020 hatte sie z.B. einen Antrag zur Wiedereinführung der Wehrpflicht in den Bundestag eingebracht [11]. So ist nicht verwunderlich, dass sie gemeinsam mit der großen Koalition aus SPD und CDU sowie der FDP die Konkurrenzanträge abgelehnt und für die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Militär und Wirtschaft gestimmt haben.

„Ihr müsst Annalena unterstützen“ – doch Grüne enthalten sich

Da die Grünen bundespolitisch einen bellizistischen Kurs verfolgen, löste es einige Verwunderung im Kreistagsplenum aus, als Sandra Laaz ankündigte, dass ihre Partei sich bei diesem Antrag enthalten würde. Ein Zwischenrufer brachte es auf den Punkt: „Ihr müsst doch Annalena unterstützen“.

Lokalpresse – ein Armutszeugnis

Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) ist enttäuscht von der lückenhaften und einseitigen Berichterstattung der Lokalpresse:

Dass die Lokalpresse die Debatte um eine Ausweitung der Zusammenarbeit von Militär, Landkreis und Wirtschaft in ihrer Berichterstattung unterschlägt, ist ein Armutszeugnis. Damit macht sie sich zum Komplizen einer schleichenden Militarisierung. Wenn wir nicht bald aufwachen, schlafwandeln wir in einen dritten Weltkrieg, der leider durch die Politik der Bundesregierung und die einseitige Berichterstattung der Mainstream-Medien immer wahrscheinlicher wird. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass man sich, um informiert zu sein, nicht auf öffentlich-rechtliche und Konzern-Medien verlassen darf!“

Quellen:

[1] Deutschlandfunk, 24.09.2016, „Lückenpresse“ – was in den Medien fehlt
https://www.deutschlandfunkkultur.de/selbstkritischer-journalismus-lueckenpresse-was-in-den-100.html

[2] Antrag von SPD und CDU für Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZdz8mODPfqShqNPQhWC0gHu-WkTxljhQYaIh7XoYhBha/Antrag_Fraktion_323-2023_KT.pdf

[3] Mitteilung des Hessischen Landkreistages zur Sitzung des Präsidiums am 27. April 2023
https://www.hlt.de/aktuelles/artikelansicht?tx_ttnews%5Bday%5D=22&tx_ttnews%5Bmonth%5D=05&tx_ttnews%5Btt_news%5D=19853&cHash=19f9731e94e1c7ec2371757ede3c22d3

[4] 10.11.2022: Weisungen für die Reservistenarbeit in den Jahren 2023 – 2025
https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5527170/39f57f8731670adc0dc490a3259796d3/pdf-weisung-reservistenarbeit-2023-2025-data.pdf

[5] Pilotprojekt startete 2019
https://osthessen-news.de/n11625886/kooperation-von-bundeswehr-und-wirtschaft-pilotprojekt-in-hessen-gestartet.html

[6] Niederschrift über die Sitzung des Ausschuses für Arbeit, Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt am 05.07.2023, TOP 3: „Der Ausschuss empfiehlt die Annahme des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU, UWG und AfD, der Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Gegenstimmen der Fraktionen DIE LINKE und Klimaliste.“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZUMJHf6el57QZC1I8HyPBZjcDLKcLTWrVyqS5xL-odSe/Oeffentliche_Niederschrift_Ausschuss_fuer_Arbeit-_Integration_und_Gesellschaftlicher_Zusammenhalt_05.07.2023.pdf

[7] Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Infrastruktur und Digitalisierung am 06.07.2023, TOP 2: „Abstimmung: 12 Ja-Stimmen / 1 Gegenstimme / 2 Enthaltungen“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZeCuUSt8z03fVyH8J9VxA6iEt0gHifRC47AW1F1DfVFN/Oeffentliche_Niederschrift_Ausschuss_fuer_Wirtschaft-_Infrastruktur_und_Digitalisierung_06.07.2023.pdf

[8] Konkurrenzantrag der Fraktion „Die Linke“: „Instrumente der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung voranbringen: keine Stärkung von Bundeswehr und Reserve“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZSh_XIpMOpLyqyWgZ4UxyFN7jaPm-OQBHIO2KC6XUk95/Antrag_Fraktion_323-2023_KT_1._Ergaenzung.pdf

[9] Konkrurrenzantrag des Einzelabgeordneten Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken – WDMR): „Nein zur Militarisierung! Ja zur Sozialen Verteidigung!“
https://buergerliste-weiterdenken.de/wp-content/uploads/2023/07/antrag_WDMR_KT_2023-07-14_nein_zur_militarisierung_ja_zur_sozialen_verteidigung.pdf

[10] DFG-VK: „Soziale Verteidigung: Ohne Waffen – aber nicht wehrlos!“ – Vortrag von Dr. Christine Schweizer vom Bund für Soziale Verteidigung, 8. Juni 2022
https://www.youtube.com/watch?v=03ageQyTzpU

[11] AfD-Antrag im Bundestag zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht aus dem Jahr 2020
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw47-de-wehrpflicht-804254

Update: OP-Artikel vom 19.07.2023 berichtet über die Reservedienst-Debatte

Mit seinem Artikel vom 19.07.2023 hat Götz Schaub nun doch einen Bericht über den Antrag von CDU und SPD nachgereicht. Darin zitiert er ausführlich aus der Antragsbegründung der Koalition. Er ging auch auf die T-Shirt-Aktion sowie den Konkurrenzantrag der Linken ein, unterschlug den Konkurrenzantrag der Bürgerliste Weiterdenken jedoch völlig. Lückenpresse eben. Dafür hat er seine ablehnende Haltung gegenüber der Aktion der Linken in einem ausführlichen Kommentar dargestellt.

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